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Ein Verfassungsreferendum in Ägypten soll die neue Ordnung legitimieren, die von der Armee hergestellt wurde. Zwar wird der Einfluss der Islamisten geringer, nicht aber die Position des Militärrates.
Die Ägypter stimmen heute und morgen über eine neue Verfassung ab - mal wieder. Viele sehnen sich nach Stabilität. Ein Militärherrscher könnte ihnen diesen Wunsch erfüllen - auf Kosten ihrer demokratischen Rechte.
In derlei Abstimmungen haben Ägyptens Bürger schon reichlich Routine. Denn es ist bereits das dritte Referendum über ein neues Grundgesetz seit dem Sturz des Langzeitpräsidenten Husni Mubarak vor drei Jahren. Die turbulenten Umbrüche und Machtverschiebungen erzwangen seitdem immer wieder verfassungspolitische Neuanfänge.
Umstrittene Muslimbruderschaft
Bereits im März des Umsturz-Jahres 2011 billigten die Ägypter eine sogenannte Verfassungserklärung des damals herrschenden Militärrates, mit der der Übergang in die Demokratie geregelt werden sollte. Die darauffolgenden ersten freien Wahlen im Land brachten 2012 die islamistische Muslimbruderschaft an die Macht.
Der damals neue Präsident Mohammed Mursi setzte eine umstrittene neue Verfassung mit islamistischen Elementen durch. Die Zustimmung war begrenzt. Da bei der Volksabstimmung im Dezember 2012 keine Mindestbeteiligung vorgeschrieben war, reichten 64 Prozent Ja-Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von nur 33 Prozent der Wahlberechtigten für die Annahme dieses Grundgesetzes.
Im Juli 2013 stürzte dann allerdings das Militär den zunehmend unpopulären Mursi nach gewaltigen Massenprotesten. Seitdem herrscht das Militär indirekt. Der Oberkommandierende und starke Mann im Land, Abdelfattah al-Sisi, ernannte eine Übergangsregierung. Eine vom Militär abgesegnete und mit sanfter Hand gelenkte Expertenkommission legte Ende des Vorjahrs den Entwurf jener Verfassung vor, über den die Bürger nun heute und morgen abstimmen sollen.
Diese beinhalte "bedeutende Verbesserungen" gegenüber den früheren Grundgesetzen, meint der Verfassungsexperte Said al-Ali vom internationalen Wahlforschungsinstitut IDEA. So fixiere sie zum Beispiel die Rechte und Gleichstellung der Frauen und zähle eine Reihe von sozialen Rechten auf. Doch zugleich breche der Entwurf nicht mit der schlechten Tradition ägyptischer Verfassungen, den Staat und seine Verfassungsorgane auf Kosten der Bürger zu begünstigen. "Er enthält keine neue Vision in Hinblick auf die Befugnisse des Staates und den Schutz der Schwachen und Benachteiligten in der Gesellschaft", befindet al-Ali.
Menschenrechtler kritisieren vor allem die unverändert festgeschriebenen Vorrechte des Militärs, das ohnehin schon einen Staat im Staat bildet. Den Verteidigungsminister ernennt die Armee aus ihren eigenen Reihen heraus, an der zivilen Regierung vorbei. Das Budget der Streitkräfte - und des ihnen angeschlossenen Wirtschaftsimperiums - bleibt weiter geheim und jeder Überprüfung durch zivile Institutionen entzogen. Auch die umstrittenen Militärtribunale gegen Zivilisten bleiben erhalten.
Protest kaum möglich
Für ein Nein zur Verfassung oder einen Boykott zu werben, ist nahezu unmöglich. Die staatlichen Medien entfesseln seit Monaten eine ebenso schrille wie wirkungsvolle Propaganda, die jeden als "Landesverräter" abstempelt, der auch nur einen Zentimeter davon abweicht, was die Führung vorgezeichnet hat. Demonstrationen von Anhängern der Muslimbruderschaft werden blutig niedergeschlagen. Die Organisation, die ihre Anhänger zum Boykott des Referendums aufgerufen hat, ist von der Regierung am 25. Dezember 2013 nach einem Anschlag zur terroristischen Vereinigung erklärt worden.
Aber die überwiegende Mehrheit der Ägypter sehnt sich nach einem Ende der Unruhen und nach Stabilität. Die Annahme der neuen Verfassung gilt deshalb als gesichert. Sie soll den Weg zu Präsidentschafts- und Parlamentswahlen frei machen. Doch die Zementierung der Vorrechte des Militärs und andere Schwächen werden, so befürchten Menschenrechtler, die Schaffung demokratischer Verhältnisse nicht ermöglichen.
Noch steht allerdings nicht fest, ob nach dem Verfassungsvotum zuerst ein Präsident oder ein Parlament gewählt wird. Die Tendenz gehe hin zu einer frühen Präsidentenwahl, schrieb kürzlich die meist gut informierte Tageszeitung "Al-Masry Al-Youm" Anfang Januar. Dies könnte bedeuten, dass der Militärmann al-Sisi - der sich bisher nicht eindeutig festgelegt hat - als praktisch unschlagbarer Kandidat ins Rennen geht. Das Referendum würde damit einen Prozess legitimieren, der - so die Kritiker - zu einem Regime führt, das sich nicht oder nur unwesentlich von seinen Vorgängern unterscheidet.