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Bürgerkrieg bedroht auch die Wiege der Weltkulturen

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Panzer, Raketen und Räuber zielen hemmungslos auf die einzigartigen Schätze vergangener Reiche und großer Religionen. Die Verluste sind unwiederbringlich. Das gigantische Ausmaß der menschlichen Tragödien, der Zahl der Toten, der Verwundeten, der Vertriebenen im dreijährigen Syrienkrieg, rückt eine Tragödie ähnlicher Tragweite in den Hintergrund: die Zerstörung einzigartiger Schätze vergangener Reiche und großer Religionen. Die UNESCO und andere Experten-Organisationen warnen vor unwiederbringlichen Verlusten, die die Skrupellosigkeit der Kämpfer beider Seiten der Weltkultur zufügen. Wenn Rebellen und Regierungssoldaten nicht vor dem massenhaften Tod unbeteiligter Zivilisten zurückschrecken, um wie viel weniger kümmern sie die Erhaltung kulturhistorischer Schätze. Strategischer Vorteil, koste es was es wolle, ist für sie das Hauptkriterium ihres Handelns. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon fasste jüngst die tiefe Bedeutung der Attacken gegen kulturhistorische Stätten für das kollektive Gedächtnis einer gesamten Bevölkerung zusammen: "Wer das Erbe der Vergangenheit zerstört, beraubt künftige Generationen eines starken Vermächtnisses, steigert Hass und Verzweiflung und untergräbt alle Versuche einer (nationalen) Versöhnung." Sechs Jahrtausende Zivilisation Je länger der Krieg in Syrien tobt, desto größer werden die Schäden an diesem einzigartigen Erbe. Dank seiner geografischen Lage besitzt Syrien einen weltweit herausragenden kulturhistorischen Reichtum. Das Gebiet des heutigen Syrien grenzte an die römischen und parthischen Reiche und nahm mehr als vier Jahrtausende lang die Spuren aller wichtigen mittelöstlichen Zivilisationen auf. Hier entstanden Kirchen und Moscheen, die von den ersten Tagen der Christenheit und des Islam an ohne Unterbrechung mit Leben erfüllt sind. Tausende Stätten auf syrischem Boden repräsentieren bis zu sechs Jahrtausende der Zivilisation. Architektonisches Wahrzeichen dieses Schmelztiegels der Kulturen ist die Wüstenstadt Palmyra, die parthische, hellenistische und römische Bauelemente zu einem einzigartigen Stil vereinte. Die UNESCO setzte jüngst sechs der herausragenden kulturhistorischen Stätten Syriens auf ihre Liste des bedrohten Welterbes. Alle sechs - Palmyra, Krak des Chevaliers, die "Toten Städte", Aleppo, Damaskus und Bosra - wurden in den vergangenen drei Kriegsjahren entweder beschädigt oder teilweise unwiederbringlich zerstört. Eine genaue Zwischenbilanz der Schäden lässt sich freilich im blutigen Kriegschaos Syriens nicht ziehen. Meist sind die Experten auf lokale Informanten, Fotos oder Videoaufnahmen angewiesen, die wissenschaftliche Einschätzungen fast unmöglich machen. Doch einige Fakten stehen unverrückbar fest. Sie sind dramatisch und versetzen Kulturliebhaber angesichts der Aussichtslosigkeit eines Waffenstillstandes in Panik. Für den bisher schwersten Verlust der syrischen Kulturschätze halten Fachleute die totale Zerstörung des Minaretts der Umayyaden-Moschee von Aleppo, um 715 errichtet, galt es als eines der bedeutendsten mittelalterlichen Monumente Syriens und überstand zahlreiche Erdbeben, Feuersbrünste und Kriege. Seit Juli 2012 diente die Moschee Regierungstruppen und der bewaffneten Opposition als Kampfstätte, erlitt unzählige Einschusslöcher und Brandschäden. Rebellen und Regierung schieben einander die Schuld am Einsturz des 45 Meter hohen Minaretts zu, das seit April 2013 in Schutt und Asche liegt. Aleppo heftig umkämpft Die gesamte Altstadt Aleppos zählt zu den größten Juwelen Syriens. Eine der ältesten Städte der Welt, verdankt sie von alters her ihren Reichtum der zentralen Lage an den Handelswegen zwischen Europa und dem Fernen Osten. Paläste, Karawansereien, Moscheen und neoklassische Säulengänge zeugen von der einst bedeutenden Rolle dieser Stadt. Auf einer Fläche von 350 Hektar waren bis 2011 etwa 16 000 historische Häuser erhalten. Doch wegen ihrer strategischen Lage und ökonomischen Bedeutung ist Aleppo seit mehr als zwei Jahren heftig umkämpft. Teile des berühmten Suk al-Madina, des größten im Mittleren Osten, brannten im Oktober 2012 aus. Das Ausmaß der Zerstörungen in anderen Teilen der Altstadt lässt sich nur erahnen. Und die Kämpfe gehen weiter. Auch die mittelalterliche Zitadelle blieb nicht vom Krieg verschont. Kämpfe und Artillerie der Regierungssoldaten zerstörten das mittelalterliche Eisentor, Historiker befürchten, dass auch der 5000 Jahre alte Tempel Schaden erlitten hat. Noch mehr irritiert die Experten, dass die Ruinen der "Toten Städte", der ehemals etwa 700 dörflichen Siedlungen aus spätrömischer und frühbyzantinischer Zeit nahe von Aleppo, als Schlachtfelder dienen. Syrien besitzt einen Reichtum an Burgen, und sie alle spielen seit Beginn des Krieges eine wichtige militärische Rolle. Die herausragendste unter ihnen, der Krak des Chevaliers, gilt als das weltweit beste Beispiel mittelalterlicher Festungs-Architektur, einzigartig in der Region, weil sie in ihren umfangreichen Dimensionen fast vollständig erhalten ist. Der Krak thront auf einem Hügel am Rande des Alewitengebirges. Diese perfekte strategische Lage ermöglichte ihm auch in der Vergangenheit die Kontrolle über die Ebene bis hin zur Stadt Homs. Krak - stets Objekt der Begierde In ihrer langen Geschichte war "Hisn al-Akräd" (Kurden-Burg), wie der Volksmund den Krak nennt, stetes Objekt der Begierde. Erdbeben machten ihm ebenso schwer zu schaffen wie zahlreiche Kämpfe und Herrscherwechsel. Den Kreuzrittern diente die Burg als wichtiger Stützpunkt, und die Johanniter bauten sie im zwölften Jahrhundert zu einem Bollwerk aus. Ihre heutige Form erhielt sie von den muslimischen Mameluken, die die Festung schließlich im 13. Jahrhundert eroberten. Heute lässt sich vom "Krak des Chevalliers" die wichtige Verbindungsstraße zwischen Homs und der Mittelmeerstadt Tartous kontrollieren und vor allem Gas- und Ölpipelines sowie Hochspannungsleitungen, die in der Nähe verlaufen. Vier Monate nach Kriegsbeginn hatten Rebellen die Burg besetzt und erst am 20. März dieses Jahres gelang es Regierungstruppen, die wiederholt von ihnen bombardierte Festung wieder zu erobern. Augenzeugen berichten, dass die äußeren, ungewöhnlich dicken Kalksteinmauern weitgehend unbeschädigt sind, doch Brände im Inneren hätten Schäden angerichtet. Torbögen seien zusammengebrochen. Eines der größten Gebäude auf dem Burggelände sei demoliert. Und der Krak bleibt im Zentrum der Kämpfe. Schmuggel für Waffenkauf Eine lange Reihe von antiken Stätten hat der Krieg nicht verschont: Teile von Damaskus, Bosra, das von aramäisch sprechenden Christen bewohnte Maaloula, die greco-romanische Stadt Apamea. Die sagenumwobene Wüstenstadt Palmyra wurde mit Mörsergranaten beschossen. Im Internet tauchten Bilder von Regierungspanzern auf, die über die einzigartige römische Säulenstraße rollten. Und wo Syriens Kulturerbe nicht in die Schusslinie gerät, wird es stückweise geraubt. In großem Stil wurden nicht nur Museen geplündert, auch Raubgrabungen werden immer wieder von kriminellen Banden durchgeführt, die sich zunehmend auf ein dichtes Netzwerk von Schmugglern stützen. Der Schmuggel erreicht nach Ansicht von Experten ein "beispielloses Ausmaß". Sein zerstörerischer Schaden übertrifft noch weit jenen durch kriegerische Attacken. Und dem syrischen Kulturerbe droht eine weitere Gefahr. Während Rebellen zunehmend systematischen Schmuggel zum Zweck des Waffenkaufes betreiben, begannen fundamentalistische Dschihadisten aus radikal-religiösen Gründen mit der Zerstörung von antiken Schätzen - wie byzantinischen Mosaiken, griechischen und römischen Statuen. Denn die Darstellung von Menschen widerspricht ihren religiösen Überzeugungen. Kulturhistoriker befürchten nun, Radikale könnten aus diesem Grund antike Schätze in großem Stil demolieren und damit einen weiteren unrühmlichen Beitrag zur Zerstörung der syrischen Identität leisten.

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