Hat mein Nachbar wegen des schlechten Wetters miese Laune - oder wegen dem schlechten Wetter? Für solche Fragen ist Horst Simon der richtige, denn er ist Linguist.
"Deppen-Apostroph" und der Dativ, der dem Genitiv sein Tod sein soll: Ist über den Genitiv nicht schon alles gesagt?
Horst Simon: Oh nein, das täuscht. Unter theoretischer Perspektive ist der Dativ viel besser erforscht, der Genitiv relativ wenig. Für Linguisten ist das Thema spannend. Wie verwenden Menschen ihn heute wirklich? Sehr Adressaten-orientiert nämlich. Deshalb ist auch der Begriff "Deppen-Apostroph" falsch, er ist viel eher ein netter Apostroph. Denn er macht es den Adressaten leichter, das Wort zu erkennen und wird in den meisten Fällen sehr bewusst gesetzt, gar nicht willkürlich. Wir Linguisten predigen keine Normen, wir untersuchen die Sprache so, wie Menschen sie gebrauchen, wie Laien schreiben und sprechen.
Wie steht es denn aus Linguisten-Sicht um den Genitiv?
Simon: Auch wenn der Genitiv in einigen Bereichen derzeit stabil ist, muss man sagen, dass er langfristig betrachtet auf dem absteigenden Ast ist. Mit Verben wird er so gut wie gar nicht mehr verwendet. Wer sagt noch "Ich erinnere mich des letzten Sommers gerne"? Er ist zwar einerseits im Deutschen der einzige Kasus, der im Singular noch eine spezielle Endung hat, also "des Mannes". Aber diese Kasusendungen verschwinden langsam. Es gibt schon bestimmte Fremdwörter, Eigennamen und Abkürzungen, die verlieren das Genitiv-S, zum Beispiel "Benutzer des Internet". Denn es gibt ja den Artikel, der sagt "Hallo, ich bin ein Genitiv". Auch im Dativ ist das immer öfter der Fall: Wenn man liest "Eis mit frische Früchte".
Ja, der Dativ. Ist er tatsächlich der Böse?
Simon: Dem Vater sein Hut, ja ja. Aber solche Wendungen sind weitverbreitet, wir benutzen sie im Alltag fast alle. Niemand spricht zu jeder Zeit normiertes Deutsch wie im Duden. Eine Kollegin von mir nennt das den "Charme des Substandards". Und Dativ-Wendungen haben auch Vorteile - zum Beispiel beim Verschachteln. Ist es nicht viel funktionaler zu sagen: "dem Peter seinem Freund sein Hund" als "Peters Freunds Hund"?
Aber manchmal gibt es Knackpunkte - wegen des Wetters oder wegen dem Wetter?
Simon: In Süddeutschland und vielen Dialekten sagt man ganz normal "wegen dem Wetter". Trotzdem hört es sich für viele irgendwie richtiger an, wenn sie "wegen des Wetters" sagen. Das ist die Sprache, die wir in der Schule gelernt und mehr oder weniger verinnerlicht haben. Aus diesem Grund sagen wir dann aber auch gleich: "trotz des Regens". Und hier war eigentlich mal der Dativ üblich.
Sind denn auch Anglizismen schuld?
Simon: Das wäre eine zu billige Argumentationslinie. Na klar gibt es Anglizismen. Aber die sind nicht an allem schuld. Und den Genitiv-Apostroph, der da immer herhalten muss, hab' ich im Deutschen schon in Schriften aus dem 19. Jahrhundert gefunden, etwa in "Goethe's Texten".
Sind Sie traurig über den Genitiv-Verlust?
Simon: Als Wissenschaftler ist mir das wurscht. Aber ich freue mich natürlich immer über Buntes und Vielfalt. Leute, die glauben, die eine, "richtige" Sprache verbreiten zu müssen, sind für Linguisten eher Witzfiguren. Ich hab da keine sprachliche Krawatte umhängen.
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