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„Je mehr sie uns schneiden, desto besser schneiden wir ab“

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Von der "kleinen Volkspartei" zur "mittelgroßen Volkspartei" - die AfD holt bei den Wahlen in Thüringen und Brandenburg aus allen politischen Lagern von ganz rechts bis ganz links Stimmen. Er hat es allen gezeigt. Und er kann es selber noch nicht fassen. Am Morgen nach den Wahlen in Thüringen und Brandenburg steht Bernd Lucke, der Gründer, Vorsitzende und Frontmann der Alternative für Deutschland (AfD), in Berlin vor der Hauptstadtpresse und schüttelt den Kopf. Dass seine Partei in beiden Ländern so gut abschneiden würde und in Thüringen aus dem Stand auf 10,6 Prozent, in Brandenburg sogar auf 12,2 Prozent kommen und sich somit sofort als viertstärkste politische Kraft etablieren würde, habe selbst ihn überrascht, gibt Lucke offen zu. Und doch fühlt sich der beurlaubte Professor für Makroökonomie an der Universität Hamburg, der seit der Europawahl ein Mandat im Europäischen Parlament hat, in seinem Kurs bestätigt. Die Strategie aller etablierten Parteien, die "Alternative für Deutschland" zu ignorieren, Koalitionen mit ihr kategorisch auszuschließen oder sie als Rechtsaußen zu stigmatisieren, sei gescheitert. "Je mehr sie uns schneiden, desto besser schneiden wir ab." Blick nach vorn Und er nimmt bereits das nächste Ziel ins Visier: Nach dem Einzug in drei ostdeutsche Parlamente sollen bei den Wahlen in den beiden Stadtstaaten Hamburg und Bremen im kommenden Jahr die ersten beiden Westländer erobert werden. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, auch wenn die neue Partei in Hamburg erst 400 und in Bremen sogar nur 100 Mitglieder hat. Denn wie schon vor zwei Wochen in Sachsen, erhielt die AfD auch in Thüringen und in Brandenburg Stimmen sowohl von bisherigen Nichtwählern als auch von Wählern aller politischer Parteien - von der rechtsextremen NPD bis zur Linkspartei. In Brandenburg wechselten 20 000 Wähler, die vor fünf Jahren noch die Linke gewählt hatten, zur AfD, dahinter folgten 18 000 ehemalige CDU-Wähler, 17 000 einstige Liberale und 12 000 Ex-SPD-Wähler. Umgekehrt die Reihenfolge in Thüringen: Dort verlor die CDU 18 000 Stimmen an die AfD, gefolgt von der Linkspartei mit 16 000 Stimmen, der SPD (12 000) und der FDP (11 000). "Gewinnerpartei für Verlierer" Zudem gelang es der Lucke-Partei, in beiden Bundesländern die Stimmen von jeweils 12 000 bisherigen Nichtwählern zu bekommen. Gewählt wurde sie gleichermaßen von Arbeiter, Angestellten und Selbstständigen, von Jungen wie von Alten. Die AfD, sagt Parteichef Lucke, sei bereits eine "kleine Volkspartei" - auf dem Weg zu einer "mittelgroßen Volkspartei". Parteienforscher nennen die AfD eine "Gewinnerpartei für Verlierer". Nach einer Analyse des Berliner Politologen Oskar Niedermayer komme die Partei deshalb so gut an, weil sie die Ängste der Bürger thematisiere: Angst vor Kriminalität, vor Zuwanderung, vor sozialem Abstieg. Gewählt werde sie von Menschen, die sich mit ihren Sorgen von den anderen Parteien alleine gelassen fühlen. Alexander Gauland, der erfolgreiche Spitzenkandidat in Brandenburg, bestätigt dies ausdrücklich. "Man muss einfach zur Kenntnis nehmen, dass es den Menschen Angst macht, was an Aufnahmebereitschaft von ihnen abverlangt wird", sagt er. Zudem belaste die Bürger, "dass unsere Parteien nicht mehr aussprechen, was ist". Stattdessen würden Probleme mit Begriffen wie "Willkommenskultur" zugedeckt. Ähnliches gelte für das Thema Inklusion im Bildungsbereich, wo alle Bedenken weggewischt werden. Die Leute seien es leid, dass sie das Gefühl hätten, "mir soll der Mund verboten werden". Die Union, die eigentliche Adressatin dieser Vorwürfe - immerhin waren Lucke wie Gauland jahrzehntelang CDU-Mitglied - reagiert offiziell unbeeindruckt auf diese Vorwürfe, ringt intern aber heftig mit der Frage, wie sie künftig mit der AfD umgehen soll. Vorwürfe zurückgewiesen Die beste Antwort, sagt CDU-Chefin Angela Merkel gestern nach den Sitzungen der Führungsgremien ihrer Partei gleich mehrfach, sei eine gute Regierungsarbeit. Ein Ruck nach rechts komme für die Union nicht infrage. "Wir sind eine Volkspartei der Mitte und werden mit der CSU dem Volkspartei-Charakter am besten gerecht." Das allerdings reicht den Mitgliedern des "Berliner Kreises", einem Zusammenschluss von Konservativen in der CDU, nicht. "Gerade im liberal-konservativen Bereich hat die Union in den letzten Jahren leider deutlich an Anziehungskraft verloren", heißt es in einem gestern bekannt gewordenen Positionspapier dieser Gruppe um Wolfgang Bosbach und Erika Steinbach. Durch die Vernachlässigung ihres konservativen Profils gebe die Union langfristig einen Teil ihrer Kernwählerschaft an die AfD preis. CDU-Fraktionschef Volker Kauder weist die Vorwürfe allerdings entschieden zurück und fordert, das Papier - wie die AfD - zu ignorieren. Merkel ihrerseits bekräftigt die klare Abgrenzung. Es werde keine Koalitionen mit der AfD geben.

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