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„Wir sind Menschen wie andere – nur kleiner “

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Mit wenigen Hilfsmitteln meistert die kleinwüchsige Sabine Popp ihren Alltag. Echte Barrieren sieht sie nur in den Köpfen mancher Zeitgenossen. Wenn Sabine Popp sich die Hände wäscht, muss sie aufpassen - sonst läuft ihr das Wasser in die Ärmel. "So ist das eben in einer Mietwohnung", sagt die 49-Jährige. Ihr Gesicht zeigt keine Regung. "Meine Küche, der Schreibtisch und ein Stuhl davor sind auf meiner Höhe, der Rest ist normal groß", erklärt die Leimenerin, die 1,26 Meter misst. Sie ist kleinwüchsig. Kein kürzeres Bett? Feine Fältchen ziehen sich um die wachen braunen Augen zusammen. "Da würde ich mich ja klein fühlen", lacht Popp. Und sie lacht oft. Eine Holzstange mit Haken, ein leuchtend grüner Schemel - dank weniger Hilfsmittel bestreitet Sabine Popp ihren Alltag souverän. Am wichtigsten aber ist ihr das Auto, ein BMW mit extrakurzem Sportsitz: "Nur so kann ich die Beine abknicken und erreiche die Pedale." Die sind um einige Zentimeter verlängert, ein zweiter Boden eingezogen. "Das Auto brauche ich, vor allem zum Einkaufen", sagt die 49-Jährige. Bus und Bahn meidet sie, so gut sie kann. "Es wird ja schon schwierig, wenn ich eine Münze in den Fahrkartenautomaten werfen soll." Scham und Unwissenheit Im Supermarkt stellt sie immer einen Korb in ihren Einkaufswagen. Rutscht etwas ganz nach hinten, kommt sie nicht mehr dran. "Wenn es die kleinen Wägen für Kinder gibt, nehme ich die", erklärt Popp, "die sind super." Dann verfinstert sich ihre Miene. "Andere machen das nicht - wegen der Fähnchen", weiß Popp, die sich seit den 80er Jahren im "Bundesselbsthilfe-Verband Kleinwüchsiger Menschen" (VKM) engagiert. Früher sei sie selbst oft wegen ihrer Körpergröße angestarrt oder ungefragt geduzt worden. "Inzwischen hat sich da viel getan", lobt Popp. Nur Ältere hätten mitunter Schwierigkeiten im Umgang mit ihr. Am besten machten es die Kinder. "Die fragen einfach, ob ich eine Mutti oder eine Oma bin." Was sie dann antwortet? "Eine Frau - nur eben eine kleine", entgegnet Popp den Jungen und Mädchen, auf die sie häufig trifft. Zum Beispiel im Schuhladen: "Mit Größe 32 geht es kaum anders. Ähnlich sieht es bei Hosen aus." Allein bei Oberteilen wird sie meist in der Damenabteilung fündig. Bei der Achondroplasie, ihrer Form des Kleinwuchses, sind Arme und Beine deutlich verkürzt, Kopf und Rumpf dagegen nicht. Wie schwer die Kleidersuche sein kann, weiß Wolfgang Küssner vom "Bundesverband Kleinwüchsige Menschen und ihre Familien" (BKMF). Sein Sohn Hendrik misst 1,45 Meter: "Irgendwann kommt Mickey Maus nicht mehr infrage." Küssner rät, sprachliche Brücken zu bauen. "Wenn ich sage, ich bräuchte ein T-Shirt für einen 14-Jährigen, wird die Verkäuferin mir keines mit Comic-Motiven bringen." Sabine Popps Eltern - beide von normaler Größe - wussten früh, dass ihr Kind weniger wachsen würde als andere. "Da haben wir eine Kleine", bemerkte ein Arzt schon bei der Geburt in Esslingen. Ob sie sich jemals gewünscht hat, groß zu sein? "Nein", sagt Popp, "auch wenn mir das kaum jemand abnimmt." Höchstens Motorrad würde sie dann gerne einmal fahren, "auf einem richtig großen". In allen Dingen das Positive zu sehen und Schwierigkeiten als Herausforderung zu betrachten, lautet Popps Philosophie. Und von denen gab es einige auf ihrem Berufsweg: Bei einem Praktikum im Kindergarten wollten die Kinder nicht auf sie hören, weil die junge Frau kaum größer war als sie. "Ich bin älter als ihr und habe Abitur", hielt Popp ihnen entgegen. Wenige Tage später lief es. Eigener Blickwinkel Bald darauf folgte ihr Entschluss, Sozialwissenschaften zu studieren - und damit die nächste Hürde: Ein Psychologe war der Ansicht, ihre Behinderung würde Hilfesuchende zusätzlich belasten. Doch Sabine Popp ließ sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen. Seit 1992 arbeitet sie im Heidelberger Selbsthilfebüro, wo sie Suchtkranke, MS- oder Krebspatienten in Selbsthilfe- oder an professionelle Einrichtungen vermittelt. Akten, die oft gebraucht werden, stehen unten im Regal. Zudem überlässt die 49-Jährige es lieber den Kollegen, die Kaffeekanne in der Mitte des Konferenztisches zu platzieren. Ansonsten profitiert sie sogar von ihrem Kleinwuchs: "Das baut Barrieren ab", sagt Popp. "Viele meinen, ich hätte auch mein Päckle zu tragen und gingen positiv damit um - das macht ihnen Mut." Einmal rief eine Frau an, deren Tochter ihr Kind auf Anraten eines Arztes abtreiben lassen wollte. Der Grund: Bei der Fruchtwasseruntersuchung war Kleinwuchs diagnostiziert worden. "Sie wollte wissen, wie mein Leben bisher war", sagt Popp. Am Ende brachte die Tochter der Anruferin einen Sohn zur Welt. Beruflich wie privat hält Popp an ihren Überzeugungen fest. Obwohl sie seit mehr als 20 Jahren in Leimen wohnt, hat sie nie den Holiday Park in Haßloch besucht. Bis 1996 wurden Kleinwüchsige in der dortigen "Liliputaner-Stadt" beinahe Zootieren gleich ausgestellt. Tausende Schaulustiger drückten ihre Nasen an den Scheiben der Wohnwagen platt, in denen die vermeintlichen Zwerge hausten - ohne die Möglichkeit, sich vor den Blicken der Gaffer zu verbergen. "So etwas ist verachtenswert", sagt Popp. "Wir sind doch keine Märchenwesen, sondern Menschen wie andere - nur kleiner." Mehrfach habe der VKM den Kontakt zu den Verantwortlichen gesucht. Dieser sei jedoch immer abgeblockt worden. Der belgische Unterhaltungskonzern, der den Freizeitpark seit drei Jahren betreibt, war auf Anfrage nicht bereit, sich zu äußern. Ähnlich erniedrigend findet Wolfgang Küssner das "Zwergenwerfen": Bis in die 90er Jahre hinein ließen sich Kleinwüchsige gegen Bezahlung in Kneipen gegen Schaumstoffmatten schleudern. 1992 verbot das Verwaltungsgericht Neustadt das fragwürdige Spektakel und verärgerte damit jene, die das Urteil eigentlich schützen sollte: Sie fühlten sich um ihren Lebensunterhalt gebracht. Ein Stück weit versteht Küssner das. Schließlich gebe es bei Arbeitgebern noch immer eine gewisse Scheu, Kleinwüchsige einzustellen. "Kraftfahrer wird mein Sohn sicher nicht", sagt der 60-Jährige, "dafür aber ein guter Bürokaufmann.""Für die Zukunft wünsche ich mir einen offenen Umgang miteinander, ohne Tuscheleien hinter vorgehaltener Hand", sagt Sabine Popp "Es wäre schön, wenn irgendwann nicht mehr ich diejenige sein muss, die den ersten Schritt macht."

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