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Angst vor ausländerfeindlichen Protesten à la Lichtenhagen

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In Berlin-Hellersdorf haben Unterstützer von Flüchtlingen eine Mahnwache vor deren Unterkunft eingerichtet. Einige Anwohner wollen die Asylbewerber vertreiben. Sogar Steine sollen geflogen sein. Auch andernorts schwelen Konflikte. In der früheren Max-Reinhardt-Oberschule sind vor viele Fenster die Vorhänge gezogen, Wachmänner stehen vor dem Eingang. An der nächsten Kreuzung ist ein kleiner Pavillon aufgebaut, Matten und Schlafsäcke auf dem Boden, einige Klappstühle. Daneben ein großes Banner: "Rassismus tötet." Auf einem der Klappstühle sitzt Jonas Baliani. Der 29-Jährige lässt den Blick über die Kreuzung schweifen, über den Polizeitransporter, der vor der ehemaligen Schule geparkt hat. "Ich mache das wegen der Menschen. Ich will kein zweites Rostock-Lichtenhagen." An die rassistisch motivierten Ausschreitungen 1992 denken zurzeit viele Menschen, wenn sie vom Streit um das neue Asylbewerberheim in Berlin-Hellersdorf hören. Bisher gab es keine größeren Auseinandersetzungen, aber wer in das Wohngebiet kommt, in dem sich Plattenbau an Plattenbau reiht, spürt: Ruhe eingekehrt ist dort noch nicht. Die Unterstützer der Flüchtlinge haben eine Mahnwache eingerichtet, an der auch Baliani sitzt. Sie wollen ein Zeichen setzen gegen Fremdenfeindlichkeit. Eine junge Frau sagt, sie habe das Gefühl, das sei nötig: "Dieser latente Rassismus, den es in unserer Gesellschaft gibt, den kann man hier sehr gut sehen." Und hören: An der Straßenecke kommt es immer wieder zu verbalen Konflikten. Einige Hellersdorfer beschweren sich lautstark: "Die sollen doch erst mal dafür sorgen, dass unsere Kinder in eine vernünftige Schule gehen können", oder "Die Spielplätze hier sind eine Katastrophe, da kümmert sich niemand drum!" Nicht alle Anwohner ablehnend Ein junger Mann versucht ihnen mit ruhiger Stimme zu erklären, warum die Mahnwache hier ihr Lager aufgeschlagen hat. Es habe mindestens einen Steinwurf auf die Unterkunft gegeben, auch auf das Nachbargebäude sei ein Stein geflogen. "Wir bleiben hier, bis sichergestellt ist, dass die Flüchtlinge keiner Gefahr ausgesetzt sind." Momentan sind rund 40 Menschen in die ehemalige Schule gezogen, 200 sollen es einmal sein. Sieben haben das Gebäude schon wieder verlassen, bestätigt die Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales. Medien berichten von Angst unter den Flüchtlingen. Ein Student aus Palästina habe gesagt, er könne nicht dort leben, wo ihn andere nicht haben wollen, schrieb eine Zeitung. Die Unsicherheit wird auch darin deutlich, dass sich keiner der Asylbewerber blicken lässt. Nur einmal öffnet ein Mann ein Fenster, schaut die Straße entlang, dreht sich wieder um. Am Anfang sollen einige von ihnen gar nicht verstanden haben, dass sie viele Unterstützer haben: Sie dachten, die Menschen auf der Straße würden alle gegen sie demonstrieren. Auf die Steinplatten rund um das Heim haben einige Unterstützer nun mit Kreide "Willkommen" in verschiedenen Sprachen geschrieben, "Toleranz" und "Respekt", rote Herzen gemalt. Nicht alle Anwohner sind dem Heim gegenüber kritisch eingestellt: Viele bringen Essen und Trinken vorbei, zwei Frauen geben bei den Wachleuten Spielzeug für die Flüchtlingskinder ab. Baliani sagt, die Argumente der Heimgegner seien immer die gleichen: "Wir haben nichts, unsere Kitas werden geschlossen." Die Menschen hätten das Gefühl, nichts ändern zu können an den Verhältnissen, die sie stören. "Dann ist dieses Heim vor der Haustür, und sie denken, dass sie dieses Problem lösen können. Eine bessere Sozialpolitik wäre das Wichtigste." Hans Bergmann hat den lauten Streit beobachtet. Der 61-Jährige ist aus Berlin-Lichtenberg gekommen, um mit eigenen Augen zu sehen, was hier los ist. Stumm hat er die Argumente der Gegner des Heims angehört, jetzt schüttelt er den Kopf. "Ich finde das unmöglich, wie sich die Menschen hier verhalten, ich kann das nicht verstehen. Den Leuten da drüben geht es eh schon schlecht genug." Er zeigt auf das ehemalige Schulgebäude: "Es verlässt doch keiner freiwillig die Heimat." Wachdienst und Zaun Das Thema ist längst nicht mehr nur ein Berliner Thema. Auch in Wickede am Rande des Sauerlandes gibt es Widerstand gegen eine Sammelunterkunft für 200 Flüchtlinge. Der Konflikt zwischen Gemeinde und Land schwelt schon seit Ende 2012, als die Bezirksregierung Arnsberg ein früheres Krankenhaus anmietete, um es zu einer zentralen Einrichtung für rund 500 Asylbewerber zu machen. "Für einen Ort mit knapp 840 Einwohnern sind 500 Asylbewerber nicht tragbar. Da stimmt das Verhältnis nicht", sagt Ortsvorsteher Edmund Schmidt. Den Sorgen der Anwohner um ihre Sicherheit will die Regierung mit einem 24-Stunden-Wachdienst und einem Zaun rund um die Unterkunft begegnen. Inzwischen melden sich zum Thema Asylbewerber allerorten Parteien und auch Fachleute zu Wort. "Der Konflikt zeigt, dass Sammelunterkünfte ungeeignet zur Unterbringung schutzsuchender Menschen sind", sagt Martina Mauer vom Berliner Flüchtlingsrat, der schon seit Jahren die Unterbringung von Flüchtlingen in Mietwohnungen fordert. Sie zählt auf, was die Flüchtlinge in Sammelunterkünften belastet: viele Menschen auf engstem Raum, keine Privatsphäre, die stigmatisierende Außenwirkung. Die Belegung des Hellersdorfer Heims, fordert der Rat, solle ausgesetzt werden. "Die Stimmung ist aufgeheizt, wir haben Angst, dass die Sicherheit der Menschen dort nicht gewährleistet ist." Die Senatsverwaltung erklärt unterdessen, die Belegung werde "sukzessive und behutsam" fortgesetzt. Die Demonstrationen werden dennoch weitergehen, die Mahnwache will in Laufnähe ein Büro einrichten. Im Gegenzug hat die NPD nach Polizeiangaben für Samstag in Hellersdorf eine Kundgebung angemeldet. In Ladenburg hatte die NPD vergangenen Samstag zu einer Demonstration gegen eine Asylbewerberunterkunft aufgerufen. Dort hat man den Neonazis allerdings deutlich die "Rote Karte" gezeigt: 300 Ladenburger stellten sich mit dem überparteilichen Bündnis "Wir gegen rechts" in einer Gegendemonstration hinter die 160 Asylbewerber, die der Rhein-Neckar-Kreis dort befristet bis Ende des Jahres unterbringen will.

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