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Die nicht vorhandene Geflügelschere

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"Trinciapollo" heißt der Bühnenerstling des vor 37 Jahren in Genua geborenen italienischen Dramatikers Fausto Paravidino, den der damals 21-jährige 1997 geschrieben hat und der 1999 in Rom, unter der Regie des Autors uraufgeführt wurde. Inzwischen gibt es von ihm sieben Theaterstücke, die überwiegend Politisches zur Sprache bringen und in der Gegenwart angesiedelt sind. Beides trifft auf den genannten Erstling nicht zu, der jetzt im Torturmtheater Sommerpausen, in der deutschen Übersetzung von Sabine Heymann, unter dem Titel "Geflügelschere" erstaufgeführt wurde. Wie der Titel mit dem Stück wenig zu tun hat, sieht man einmal davon ab, dass die Hauptperson Marco Paroli, droht, eine Leiche mit einer Geflügelschere zu zerteilen, wobei sich dann herausstellt, dass sie eine solche gar nicht besitzt, so hat dieses Schauspiel weder mit Politik noch mit der Gegenwart etwas zu tun. Das Kind, das die Vase zerschlug Nimmt man dann noch einen der letzten Sätze von Marco Prodi hinzu: "Ich kam mir vor wie ein Kind, das eine Vase zerschlagen hat. Erst war ich das Kind, dann die Vase", dann offenbart sich die Grundstimmung: Es geht nicht um die Realität, sondern um absurdes Theater. Und dementsprechend sind auch die handelnden Personen gezeichnet. Teilten sich in Marburg noch vier Schauspieler, die insgesamt ein Dutzend Rollen, so kommt man in Sommerpausen mit einer weiblichen und zwei männlichen Darstellern aus, die in rund 70 Minuten die Geschichte vorstellen. Im Mittelpunkt steht der bereits erwähnte, unter psychischen Störungen leidende Marco Prodi, der eines schönen Tages Besuch von einem Fremden bekommt. Kurz danach kommt ein zweiter Fremder, der den ersten aus unerfindlichen Gründen erschießt. Damit kommen die Leiche und die Geflügelschere ins Spiel. Doch jetzt beginnen erst die Turbulenzen. Zwei Polizisten tauchen auf, danach zwei Ärzte, ein Verteidiger und ein Gefängniswärter. Denn Marco Prodi ist inzwischen in der Untersuchungshaft gelandet, wird auf seinen Geisteszustand untersucht und braucht selbstverständlich auch einen Rechtsanwalt, der ihn verteidigt. Wie sich die Handlung durch Absurdität auszeichnet, so sind die Vertreter der verschiedenen Berufe mehr als Karikaturen denn als ernstzunehmende Personen gezeichnet. Gleiches gilt auch für den zwischen Phrasen und Banalem angesiedelten Text, den sie zu sprechen haben. Diesem Stil wird dann auch die Aufführung im Torturmtheater Sommerpausen gerecht. Für die Kostüme zeichnen Andreas Schwarz und Angelika Relin verantwortlich, für das Bühnenbild Angelika Relin. Das erschöpft sich im Wesentlichen in einem Vorhang mit Übervorhang, die zu Beginn weggezogen werden und den Blick auf einen Türrahmen, eine Wand im Hintergrund und einen Stahlrohr-Ledersessel im Vordergrund freigeben. Manuel Scherer als Marco Prodi spielt den Psychopathen. Franziska Würzl ist seine Freundin Chiara, die ihm Vorwürfe macht, dass er die zwei Fremden überhaupt eingelassen hat. Sie spielt auch noch den zweiten Fremden, einen Polizisten und einen Arzt, jeweils in der berufstypischen Kleidung, aber als jeweiliger Charakter wenig glaubhaft. Gleiches gilt für Christoph Pabst, der den ersten Fremden, einen Polizisten, einen Arzt, einen Verteidiger und einen Gefängniswärter spielt, dem man aber im Grund keine von allen Figuren abnimmt, weil sie schon von Fausto Paravidino überzeichnet sind. Auf dieser Spur folgt ihm die Regisseurin Christine Neuberger und trägt das Ihre dazu bei, dass sich die "Geflügelschere" in den Köpfen der Besucher als Absurdität festsetzt. Dieter Schnabel

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