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Kapitulation der Gelben Engel

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Was tun, wenn das ganze Land mit dem Finger auf einen zeigt? Die ADAC-Führung hat sich nach dem Skandal um Manipulationen bei der Wahl des Lieblingsautos der Deutschen für Demut entschieden. Doch die Kritiker formieren sich - und fordern mehr. Da steht er im dunklen Anzug an einem knallgelben Pult - und macht ein bedröppeltes Gesicht. Als ADAC-Geschäftsführer Karl Obermair gestern in München vor die Presse tritt, will er retten, was zu retten ist. Mehrfach bittet er um Entschuldigung: die Öffentlichkeit und ausdrücklich auch die Medien. Über die hatte er sich noch am vergangenen Donnerstag bei der Verleihung des Preises "Gelber Engel" lustig gemacht. Das seien "überzogene Aussagen" gewesen, meint Obermair jetzt zerknirscht. Nur eines fehlt bei der Kapitulation noch: der eigene Rücktritt. Dafür sehe er keinen Grund, denn Ursache für das Erdbeben, das den nach dem US-amerikanischen "AAA" zweitgrößten Automobilclub der Welt seit dem Wochenende erschüttert, sei "klar ein Hauptverantwortlicher". Gemeint ist der ehemalige ADAC-Kommunikationschef und Chefredakteur der "ADAC-Motorwelt" Michael Ramstetter (60). Der sei eine "sehr hochrangige Führungskraft" mit mehr als 100 Mitarbeitern gewesen und wirklich "kein Bauernopfer". Nach einem Medienbericht soll Ramstetter ein Jahresgehalt von 250 000 Euro bezogen haben. Einen Tag nach der Verleihung des "Gelben Engel" hatte Ramstetter in einem "vollumfänglichen Geständnis" eingeräumt, jahrelang "in einer unglaublich dreisten Weise" Zahlen bei der Wahl des "beliebtesten Autos" manipuliert zu haben. Am Freitag um 9.56 Uhr habe Ramstetter ihm das gebeichtet, erklärt Obermair. Jetzt wolle man alles lückenlos aufklären, mit Hilfe externer Prüfer. Große Blamage Nun formieren sich die Kritiker des Allgemeinen Deutschen Automobilclubs. Der ADAC hat eine ganze Menge davon, schon allein wegen seiner Position als Mega-Verein mit fast 18,8 Millionen Mitgliedern und enormer Wirtschaftsmacht. Am weitesten geht der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer (siehe Interview), der praktisch eine Zerschlagung des Vereins in einen Pannenservice und ein Unternehmen fordert. Die Blamage hätte nicht größer sein können: Bei der Verleihung des Preises "Gelber Engel" hatte Obermair noch über einen Zeitungsbericht gespottet, der dem Club Manipulationen unterstellt hatte. In diese Zeitung werde sowieso am nächsten Tag Fisch eingewickelt, feixte Obermair. Den deutschen Automobil-Oberbossen Martin Winterkorn (VW) und Norbert Reithofer (BMW) wurden die Preise für das beliebteste Auto und die beste Marke in die Hand gedrückt. Doch einen Tag später knickte Ramstetter ein und gab zu: "Ich habe Scheiße gebaut." Damit war klar: Für den Kommunikationschef gibt es in der schmucken ADAC-Zentrale im Münchener Westen keine Zukunft mehr. Für die Wahl des beliebtesten Autos werden in der "Motorwelt" und über das Internet alle 18,8 Millionen ADAC-Mitglieder "in einem manipulationssicheren Verfahren" (ADAC-Pressemitteilung) aufgerufen. Tatsächlich hatten sich dabei nur 3409 für das Siegerauto VW Golf ausgesprochen. Kurzerhand habe Ramstetter im Alleingang die Zahl auf 34 299 verzehnfacht. Über die Gründe wird gerätselt. Wahrscheinlich, vermuten Kenner, sei dem ehrgeizigen Ex-"Motorwelt"-Chef der Rücklauf zu mickrig gewesen - die wohlmeinende Version. Viele, die sich im Internet äußern, vermuten Gemauschel und Korruption. Bei derartigen Automobil-Auszeichnungen "gewinnt der, der am meisten zahlt", lautet einer von vielen ähnlichen Netz-Kommentaren. ADAC-Geschäftsführer Obermair schließt in Sachen "beliebtestes Auto" gar nichts aus, wohl aber bei anderen Tests und Umfragen, die der ADAC in großer Menge vornimmt und publiziert. Diese Informationen seien "hundertprozentig sicher und richtig", versichert er. Die Wahl des beliebtesten Autos sei eine Ausnahme, weil die Zahlen nur bei der Redaktion der "Motorwelt" eingingen. Alle anderen Testergebnisse wie Verbraucherschutz- und Techniktests durchliefen mehrere Fachabteilungen: Es gebe "keinerlei Hinweise darauf, dass auch andere Bereiche (...) von Unregelmäßigkeiten betroffen sind." Gleichwohl dürften jetzt auch alle anderen Tests und Umfragen genauer unter die Lupe genommen werden. Medien erinnerten bereits daran, dass der Dacia Logan 2005 bei einem ADAC-Test als "Billigflieger aus Rumänien" durchgefallen ist. Tatsächlich aber habe sich das Billig-auto überschlagen, nachdem ein Reifen durch ein Ersatzrad ersetzt und dadurch die Fahreigenschaften verschlechtert worden seien - was die ADAC-Tester zunächst verschwiegen hätten. Die kritischsten Worte aus dem politischen Lager findet ausgerechnet der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer. Der Manipulationsskandal beim ADAC wundere ihn überhaupt nicht, gibt er zu Protokoll. Er habe sich schon immer gefragt, wie der ADAC zu den Zahlen komme, die nach Club-Ansicht gegen die von Seehofer favorisierte Pkw-Maut sprechen. In dieser Angelegenheit habe man die Politik "mit keinerlei falschen Zahlen" bedient, wehrt sich ADAC-Geschäftsführer Obermair. Ein wenig Rache übt auch Grünen-Bundestagsfraktionschef Toni Hofreiter. Man sollte nicht so viel auf Organisationen hören, auch wenn sie groß seien, meint dieser. Vielleicht erinnert er sich auch an das Wahljahr 1998, als der ADAC eine Kampagne gegen die grüne Forderung nach fünf Mark je Liter Sprit fuhr. Am Wochenende zeigte ein Foto, wie Ramstetter sich mit Koffern bepackt auf Reisen begab. Ziel unbekannt. Zurück lässt er knapp 6800 Mitarbeiter - laut ADAC-Chef Obermaier in "Empörung, Wut und Fassungslosigkeit".

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