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Vor Wahlen stellt die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) seit zwölf Jahren den Wahlhelfer ins Internet. Was wie ein Spiel anmutet, mündet in der ernsthaften Auseinandersetzung mit Parteien. Ein Selbstversuch in zehn Schritten.
Die Wahlunterlagen hängen schon an meiner Pinnwand, immer mehr Werbung von Parteien flattert in meinen Briefkasten, und die Plakate in der Stadt sind nicht mehr zu übersehen. Der 25. Mai rückt näher und ich bin mittendrin im dichten Wahlkampfdschungel. Wo soll ich das Kreuzchen setzen, welche Partei vertritt meine Interessen am besten, frage ich mich genauso wie Tausende andere Menschen. Höchste Zeit für den Wahl-O-Mat also. Hilfe für die Wahlkabine.
www.wahl-o-mat.de
Kaum habe ich www.wahl-o-mat.de in den Browser eingetippt, bin ich auch schon mittendrin im orangefarbenen Wahlhelfer. Vorab wird kurz erläutert, was mich erwartet (38 Thesen, 25 Parteien) und darauf hingewiesen, dass "der Wahl-O-Mat keine Wahlempfehlung, sondern ein Informationsangebot über Wahlen und Politik" ist. Darauf legt die bpb großen Wert. Ich soll das Ergebnis also auf keinen Fall für bare Münze nehmen, sondern als Beginn meiner Politrecherche quasi. Ich klicke auf "Start" und los geht's.
Stellung zu 38 Thesen beziehen
Die erste von 38 Thesen taucht auf dem Bildschirm auf. Ein Satz, dem ich zustimmen oder den ich ablehnen kann. Das sieht dann so aus: "Edward Snowden soll in einem EU-Mitgliedsstaat Asyl gewährt werden." Als Antwortmöglichkeit kann ich zwischen "stimme zu", "neutral" oder "stimme nicht zu" entscheiden. Dann springt der Wahl-O-Mat schon zur nächsten Frage. Für die Antwort kann ich mir beliebig viel Zeit zum Nachdenken lassen.
Möglich: Frage überspringen
Ein paar Thesen finde ich ganz schön knifflig zu beantworten. Es stecken schließlich viele Prozesse dahinter, an die ich in der ersten Sekunde gar nicht gedacht habe. Nach der Hälfte etwa sitze ich vor einer Frage, bei der ich mich auch nach langem Nachdenken nicht für "zustimmen" oder "nicht zustimmen" entscheiden kann. Soll sich die EU als christliche Wertegemeinschaft verstehen? "Neutral" anklicken, möchte ich nicht, das Thema ist mir ja nicht egal. Noch eine weitere Minute Grübelei, da fällt mein Blick auf "These überspringen". Diese Aussage wird dann beim Ergebnis nicht berücksichtigt. Das sollte man aber nicht zu oft machen, sonst ist das Ergebnis nicht zuverlässig.
Geschafft, nach zehn Minuten
Geschafft, letzte These. Bis jetzt hat es noch nicht einmal zehn Minuten gedauert. Weil ich aber während der Fragen noch mal über eine These nachgedacht habe, möchte ich mein Ergebnis doch wieder ändern. Zum Glück kein Problem, ich kann jederzeit an die Stelle zurückspringen. Ich wundere mich nur, dass einige Themen, die ich erwartet hatte, vom Wahl-O-Mat überhaupt nicht abgefragt wurden - zum Beispiel Datensicherheit. Aber 38 Thesen können eben nicht alles abdecken.
Eigene Themengewichtung
Auf einer Übersicht werden alle Thesen auf einer Seite aufgelistet und auch meine Position dazu angezeigt. Jetzt kann ich bestimmen, welche Themengebiete mir besonders wichtig sind. Organspende, Finanzpolitik, EU-Beitritte zum Beispiel. Die dazu passenden Thesen kennzeichne ich mit einem Sternchen. Das hat den Vorteil, dass der Wahl-O-Mat die markierten Thesen bei der Auswertung doppelt wertet und so ein genaueres Ergebnis erreicht.
Parteien im Vergleich
Als nächstes muss ich mich nun entscheiden, mit welchen Parteien meine Ansichten verglichen werden sollen. Mindestens eine, aber maximal acht von 25 zur Wahl zugelassenen Parteien. Dafür klicke ich auf das graue Logo der jeweiligen Partei, das dann bunt wird. Ganz oben sind die sechs Parteien aufgelistet, die momentan im Europäischen Parlament vertreten sind, 19 weitere Parteien folgen. Darunter auch rechts- und linksextremistische, was am Konzept des Wahl-O-Mat oft kritisiert wird. Ich muss aber keine Partei in die Auswahl nehmen, die ich nicht möchte.
Das Herzstück: Prozentzahlen
Dann kommt das Herzstück des Wahl-O-Mat: In Prozentzahlen wird angegeben, wieweit sich meine Ansichten mit denen der Parteien decken. So hat etwa die eine Partei zu 83 Prozent die gleiche Position wie ich, eine andere aber nur 34 Prozent. Etwas irreführend: Hohe Übereinstimmungen meiner Antworten mit mehreren Parteien bedeuten nicht zwangsläufig, dass die Parteien sich inhaltlich nahe sind. Überrascht bin ich von meinem Ergebnis insgesamt nicht - nur von einer Partei, die für mich zuvor keine große Rolle gespielt hat. Jetzt steht sie an Stelle zwei unter meinen acht ausgewählten Parteien. Da lohnt es sich womöglich, noch mal genau im Parteiprogramm nachzulesen. Ähnlich wie mir geht es den meisten: Über 90 Prozent der Nutzer mit einer klaren politischen Positionierung finden sich genau oder in etwa bei ihrer präferierten Partei wieder.
Parteien kommen zu Wort
Dann kommt der zeitaufwendigste, aber womöglich aufschlussreichste Teil: Jede der selbst ausgewählten Parteien begründet ihren Standpunkt zu allen 38 Thesen - in Kurzform durch ein Kreuz für Ablehnung beziehungsweise durch ein Häkchen für Zustimmung zur These oder als Langfassung in zwei bis drei erklärenden Sätzen. Besonders diese Erklärung ist wichtig, denn die Zustimmung zu einer These durch mehrere Parteien kann durchaus ganz unterschiedlich motiviert sein. Die Texte zur Begründung stammen von der Partei selbst und wurden nicht von der bpb geschrieben.
EU-Vergleich im "Vote match"
Falls ich möchte, kann ich mich per Mausklick direkt zum "vote match" weiterleiten lassen. In einem neuen Fenster öffnet sich eine Europakarte. Dort wird mir gezeigt, welche Programme von Parteien im Ausland sich mit meinen Positionen aus dem Wahl-O-Mat decken. Ist zwar interessant, aber nicht wegweisend.
Lust auf mehr geweckt
Testen, klicken, wählen - ganz so einfach macht es die bpb mir dann doch nicht, will sie es mir nicht machen. Die Verantwortung liegt schließlich bei mir. Der Wahl-O-Mat versteht sich als ein Kompass, der mir die Richtung weist. Also ein Appetitanreger, der Lust auf mehr wecken soll, auf mehr Politik, auf mehr Recherche, auf mehr Meinungsbildung.