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Der derzeitige Premierminister gilt als sicherer Sieger der Präsidentenwahl in der Türkei an diesem Sonntag. Schon jetzt ist Recep Tayyip Erdogan mächtiger denn je. Seine Kritiker fürchten, dass er sich zum Despoten aufschwingen wird.
Fußball ist Recep Tayyip Erdogans große Leidenschaft, schon seit seiner Jugend. Fast hätte er damals statt der politischen Laufbahn eine Karriere als Profi-Kicker eingeschlagen. Der türkische Premier ließ sich deshalb nicht lange bitten, als jetzt ein prominenter Ersatzspieler für ein Freundschaftsspiel zur Einweihung des neuen Istanbuler Fatih-Terim-Stadions gesucht wurde.
Als es 0:3 für seine Mannschaft stand, hielt es den 60-jährigen Erdogan nicht länger auf der Bank. Er dribbelte aufs Spielfeld und schoss innerhalb von 15 Minuten drei Tore - ohne nennenswerte Störversuche gegnerischer Abwehrspieler. Erdogans Team konnte die Partie schließlich klar für sich entscheiden. Die Botschaft des vom Fernsehen übertragenen Matches war klar: Mit Erdogan gewinnt man.
Wahlausgang scheint gewiss
Daran sollen auch die türkischen Wähler denken, wenn sie an diesem Sonntag zu den Urnen gehen, um einen neuen Staatspräsidenten zu wählen. Der Sieger scheint bereits festzustehen. Offen ist lediglich, ob Erdogan bereits im ersten Durchgang die erforderliche absolute Mehrheit erreicht oder sich zwei Wochen später einer Stichwahl stellen muss. Jüngste Umfragen sehen ihn bei 52 bis 56 Prozent. Die beiden anderen Kandidaten - der von den beiden größten Oppositionsparteien nominierte Wissenschaftler Ekmeleddin Ihsanoglu und der Kurdenpolitiker Selahattin Demirtas - gelten als nahezu chancenlos.
Es scheint, als sei der Stürmer Erdogan nicht zu stoppen. Eine Gefängnisstrafe wegen islamistischer Hetze Ende der 1990er Jahre? Ein damals gegen ihn verhängtes lebenslanges Politikverbot? Längst vergessen. Ein Verbotsverfahren im Jahr 2008 gegen seine islamisch-konservative Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) überstand Erdogan ebenfalls. Auch die Massendemonstrationen gegen seinen autoritären Regierungsstil im vergangenen Sommer konnten ihm nichts anhaben. Die landesweite Protestwelle hat sich verlaufen, eine politische Oppositionsbewegung ist nicht daraus geworden. Und selbst die im vergangenen Dezember aufgekommenen Korruptionsvorwürfe scheinen folgenlos zu bleiben.
Erdogans Kernwähler, die konservativen, frommen Anatolier, interessieren sich ohnehin nicht für die Bestechungsaffäre. Auch Themen wie die Internetzensur oder Erdogans merkwürdiges Verständnis von Gewaltenteilung lassen sie kalt. Je stärker Erdogan polarisiert, wie etwa durch die brutalen Polizeieinsätze, mit denen er mittlerweile jede Demonstration im Keim ersticken lässt, desto fester schließen sich die Reihen seiner Anhänger.
"Großer Meister"
Dasselbe gilt für Erdogans aggressive Auftritte in der Außenpolitik, zum Beispiel seine Hetzreden gegen Israel. Die Anhänger verehren ihr Idol als "Weltführer", "großen Meister" und Vater des türkischen Wirtschaftswunders. Seit er das Land regiert, hat sich das statistische Pro-Kopf-Einkommen verdreifacht, die Reallöhne stiegen um 50 Prozent.
Nachdem Erdogan zahlreiche Polizisten, Staatsanwälte und Richter strafversetzen ließ, sind die Korruptionsermittlungen weitgehend abgewürgt. Damit ist wohl auch die Kraftprobe Erdogans mit seinem vielleicht mächtigsten Widersacher entschieden - dem islamischen Kleriker Fetullah Gülen. Den sieht der Premier als Drahtzieher der Korruptionsvorwürfe und bekämpft ihn bis aufs Messer. Die Säuberungen im Polizeiapparat und in der Justiz, wo Gülen viele Gefolgsleute hatte, seien nur der Anfang, kündigte Erdogan an.
Erdogan ist mächtiger denn je. Aber er will noch höher hinaus. Mit dem Einzug in den Präsidentenpalast auf dem Cankaya-Hügel über Ankara möchte er seine Karriere krönen. Hier residierte einst Mustafa Kemal, der Republikgründer. Auf ihn geht die Westorientierung der modernen Türkei zurück. Der Zuname Atatürk, den er 1934 wählte, bedeutet "Vater der Türken". Jetzt schickt sich Erdogan an, diese Rolle zu übernehmen. Er regiert die Türkei seit elf Jahren und vier Monaten - länger als irgendein Premierminister seit dem Beginn der Mehrparteienära 1946. Erdogan hat bereits als Regierungschef die Türkei geprägt wie kein zweiter Politiker seit Atatürk.
Änderung des Grundgesetzes
Nun steht er vor dem Sprung ins höchste Staatsamt. Erstmals bestimmen die Türken jetzt ihr Staatsoberhaupt in direkter Wahl. Erdogan leitet daraus eine besondere Legitimation ab: Er werde kein "zeremonieller" Präsident sein, sondern die Befugnisse seines Amtes in vollem Umfang ausschöpfen. Damit nicht genug: Erdogan hat eine tiefgreifende Reform des türkischen Grundgesetzes angekündigt, eine neue Präsidialverfassung, die dem Staatsoberhaupt eine umfassende Machtfülle geben soll.
Für Erdogans Gegner ist diese Vorstellung ein Alptraum. Sie fürchten, dass der ohnehin zunehmend selbstherrlich agierende Premier als Staatschef völlig die Bodenhaftung verlieren und sich zum Despoten aufschwingen könnte. Kritische Stimmen in den Medien werden immer seltener. Missfällt ihm ein Zeitungsartikel oder eine TV-Sendung, greift Erdogan nach eigenem Eingeständnis gern selbst zum Telefon, um Chefredakteure und Herausgeber zu einer staatstragenden Haltung anzuhalten.
Erdogan spricht bereits von einer "neuen Türkei". Wie sie aussehen könnte, ließ jetzt sein Vize-Premier Bülent Arinc durchblicken. Er diagnostizierte einen "moralischen Verfall", der seine Gründe vor allem darin habe, dass die türkischen Frauen zu viel lachen, zu lange Handy-Telefonate führen und zu viel Auto fahren. Das sei mit dem Gebot der Keuschheit unvereinbar, so Arinc.
Er gilt als ein möglicher Nachfolger Erdogans im Amt des Regierungschefs. Ein anderer Name, der genannt wird, ist der von Außenminister Ahmet Davutoglu. Beide sind treue Gefolgsleute Erdogans. Egal wer neuer Premierminister wird, viel wird er unter Staatschef Erdogan ohnehin nicht zu sagen haben.